Mandau-Griff

Ein herausragender Griff, der typisch für den elaborierten Kenyah-Stil des späten 19. Jahrhunderts und danach ist. Sehr kraftvoll mutet die ausgeprägte Rückenfigur an, die gut erkennen lässt, dass sich die „Egel“-Motive oft ebenso gut als Zähne (und Klauen) des aso-Drachen benennen lassen. Sehr gut erkennt man auch, wie die Gliedmaßen der aufliegenden Figur sich in ein eigenständiges Dekorelement wandeln. Das Merkmal der Auflösung der Einzelelemente der Kernthemen Mensch-Drache/aso und Schreckmaske sowie Doppelspirale, die der Konstellation sinnfällig zugrunde liegt, ist allen guten mandau-Griffen eigen und gruppiert sich um das zentrale Thema Leben – Tod – Erneuerung, wobei das Eingreifen außerhalb der natürlichen biologischen Abläufe die Aufgabe des Kopfjägers ist. Der Kopfjäger vollzieht somit ein primordiales Geschehen nach, das die Ursprungsgottheiten und Kulturheroen (in der Kulturwissenschaft: Dema-Gottheiten, nach einem Terminus der neuguinensischen Marind-Anim) durchgeführt haben. Die Umwidmung der durch das Töten freigewordenen Lebensenergie findet dann im Rahmen bestimmter zyklisch angelegter Rituale statt, die mit den landwirtschaftlichen Anbauzyklen konform gehen und durch die Doppelspirale verkörpert werden, eben: den Weg in die Unterwelt und zurück. Diese bildet in durchstochener, fein ausgearbeiteter Form das Kernthema dieses Griffes, wobei die Flanken ein Gewirr von aso-Elementen wie Zähne und Klauen, Egeln und Gliedmaßen bilden. In Kenyah-typischer Art wurde weitgehend auf den realistischen bzw. zoomorphen aso verzichtet.

Die aufliegende Figur, die den aso „reitet“, hat fast Dian- bzw. bronzezeitliche Anmutung. In der Tat finden sich dämonische Kriegergestalten schon an Griffen von Dian-Waffen (Yunnan, 4. Jahrhundert v.u.Z.). Diese sind bereits explizit mit der rituellen Kopfjagd verbunden, wie Schädel- bzw. Kopfmotive nahelegen. Die Figur ist auch phallisch angelegt; zwischen den stilisierten Beinen hängt ein immenses Glied herunter, was die sexuelle bzw. fruchtbarkeitsbezogene Anlehnung der Kopfjagd drastisch verdeutlicht.

Der Griff in seiner Gesamtheit, der stellenweise durch rot-weiß gefärbte Ziegenhaarbüschel verziert ist – Haare sind Symbol für ewiges Wachstum – , ist repräsentativ für den relativ späten Stil hochkarätiger mandau, bei denen die Kernelemente oft besonders prägnant in den Vordergrund gestellt sind. Die Qualität der Schnitzarbeit, die in sehr schwierig zu bearbeitendem Sambar-Hirschgeweih ausgeführt ist, ist eklatant. Das Bildprogramm aso-Drache – dämonischer Mensch bzw. Kopfjäger und Seelenwege (Doppelspirale) wird bei kenyah-Griffen bisweilen plakativer in den Vordergrund gestellt, aber auch abstrahierter und darstellerisch aufgelöster als bei den ruhigeren, fließenden aso-Gruppierungen der Kajan-Gegenstücke.

Objekt Mandau-Griff
Kultur Borneo, Kalimantan, Kenyah
Zeit Um 1900
Maße Länge: 16 cm
Material Hirschhorn, Rattan, Haare
Weiterführende Literatur Zurück zur Raumansicht