Beimesser „lunggai“

Ein Messer (lunggai) von außergewöhnlicher Qualität, das als eigenständiges Kunstwerk und nicht nur als „Begleitimplement“ eines mandau angesehen werden kann. Der schlanke, langstielige Griff aus hochpoliertem steinhartem Holz endet in einem charakteristisch nach oben abgebogenen Schlussstück aus Hirschgeweih, das als expressiver Drachenkopf ausgeformt ist. Die Schnauze, die deutlich die gebleckten Zahnreihen und langen Reißzähne erkennen lässt, mündet sinnigerweise in eine große eingehängte Spirale ein, welche den Ein- und Ausgang der Unterwelt symbolisiert, die durch den Drachen vertreten wird. Somit ist der Aussagegehalt des mandau-Griffes sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Denn auf dem mächtigen Drachenhaupt, dem Haupt-aso, kauert eine darstellerisch stark zurückgenommene menschliche Gestalt, die durch die beidseitig erkennbaren Gliedmaßen erkennbar ist. Am Hals bzw. der Unterseite des Griffs, sozusagen der Drachenkehle, sind gerundete Flächen als stilisierte Schädelmotive zu erkennen. Der Griff fasst also idealtypisch den „Weg des Kriegers“ zusammen: vor dem Maul des Erddrachen aso befindet sich der Eingang und Ausgang der Unterwelt, der durch den Krieger/Initianten und sein Opfer gleichermaßen beschritten wird, mit dem Ziel, die in der Unterwelt bereitgestellte Lebensenergie abzurufen. Die Ei-förmigen Elemente am Ansatz des Geweihaufsatzes, die von eingehängten Spiralen unterbrochen sind, dürften ebenfalls als stilisierte Gliedmaßen zu benennen sein, wahrscheinlich die Beine des „Reiters“. Der Griff hat eine Silberfassung, die im malaiischen Stil mit floralen Elementen getrieben und wahrscheinlich eine Arbeit aus Kutai oder Brunei ist.

Ebenfalls malaiisch mutet die Klinge an, die mit Rückenschnitt versehen ist und aus strähnigem Raffinierstahl besteht. Sie scheint – typisch für malaiische Klingen – bewusst angeätzt zu sein. Offenkundig handelt es sich um ein sehr altes Stück. Atypisch für nyu-Messer ist der Schneidenansatz, der ebenfalls malaiischer Prägung ist. Im Ganzen ist die Klinge als „Mini-mandau“ geformt und für ein Messer dieser Art ungewöhnlich aufwendig gestaltet. Die sehr prominente Ausprägung des aso am Endstück und die klaren Verweise auf die Seelenwanderung bzw. -transformation lässt an eine Anwendung im Kontext der rites de passage/Übergangsrituale denken, wie z. B. Beschneidungen (bei Dusun und Iban bekannt) oder Ritzungen.

Dieses Messer hat eine gut dokumentierte Geschichte und ist historisch bedeutsam. Es kam mit dem dazugehörigen mandau im Jahr 1881 als Schenkung in die Sammlung des VKM Leiden (ehem. Inv.-Nr. 261/2c; zugehörig zu mandau 261/2). Es existiert eine kolorierte Darstellung des Messers in Juynboll ( part 2 plt XVIII). Die Schenkung wird im Staatscourant als „gift from the Sultan of Broenai to the Gouvernement of the Dutch Indies“ besprochen. Die Geschichte des Messers wird dargelegt in „Tijdschrift voor Nederlandsch Indie , deel 1, 01-06-1882“.

Das mandau, zu dessen Scheide das Messer gehörte, war mit einem Rubin und einem Diamanten appliziert. Es wurde um 1873 vom Sultan von Kutai dem Kommandanten eines holländischen Kriegsschiffes als Ausdruck des Wunsches nach freundschaftlichen Beziehungen überreicht. In dieser Zeit erschienen die Holländer wieder vermehrt als „Mitbewerber“ der britischen Dent & Overbeck Company in Nordborneo, die vom Sultan protektioniert wurde und diesem für die Rechte an der Ausbeutung des Hinterlandes (Kautschuk, Tabak, Edelholz etc.) Provision zahlte. Als die Ambitionen der Dent & Co. sich ausweiteten und als sehr lukrativ erwiesen, schickten die Holländer Schiffe, um ebenfalls Rechte anzumelden. Das brachte den Sultan in eine schwierige diplomatische Situation und in diesem Kontext wurde das mandau neben anderen Geschenken als Zeichen des guten Willens übergeben, wie bei Juynboll (ebd.) beschrieben. Das mandau verschwand, wohl durch Diebstahl, vor über 50 Jahren aus der Museumssammlung.

Das Beimesser tauchte vor einigen Jahren auf dem Antikmarkt wieder auf und konnte sichergestellt werden.

Objekt Beimesser „nyu“, „lunggai“
Kultur Borneo West-, Kutai, Sabah, Dayak, Kenyah (?)
Zeit 18./19. Jahrhundert
Maße Länge: 42 cm
Material Stahl, Silber, Holz, Hirschhorn
Weiterführende Literatur Zurück zur Raumansicht