Ritualdose „kanepochi“

Objekt Amulett-Box „kanepochi“
Kultur Formosa/Süd-, Paiwan-Gruppen
Zeit 19. Jahrhundert
Maße L: 10,50 cm, H: 4,10 cm, B: 7,3 cm
Material Holz, Lack, Messing

Diese Schachtel besteht aus einem geschnitzten Holzkorpus mit Schiebedeckel. Auf dem Deckel sind kleine erhabene Messingornamente angebracht. Das Muster auf dem Deckel erinnert an ein Bootmotiv. An den Außenseiten sind Menschenköpfe und Tiermotive in die Holzoberfläche geschnitzt. Die Holzdose ist mit Rotlack dekoriert.

Kleine Amulett-Schachteln wie die vorgestellte Schachtel waren als Behälter für Talismane, wie heilige Steine (Azur-Perlen) aus dem Paiwan-Stammland, oder kostbare Perlen vorgesehen. Bei den Festivals zur Vergöttlichung hochrangiger Ahnen wurden bestimmte Weihegaben dargebracht, meist alte Perlen chinesischer oder westlicher Herkunft. Diese „divination ceremonies“ hatten den Zweck, den Rang der Ahnen im Jenseits zu erhöhen. Sie waren Teil der zyklischen Festivals, die die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhielten und stärkten. Die Bataul-Gruppe innerhalb der Paiwan führen das maleveq-Festival alle fünf Jahre durch, bei denen die Geister der Ahnen eingeladen und beschenkt werden. Die Weihegaben, die in kostbaren Schachteln wie der hier vorgestellten aufbewahrt werden, können mehrfach verwendet werden. Demuljat ist ein Teil des maleveq, bei dem die Teilnehmenden symbolisch mit Bambusstöcken auf Bälle aus Pflanzenfaser stoßen, die Menschenköpfe symbolisieren. Das erinnert daran, dass früher vor diesen großen Vergöttlichungs-Festivals die Kopfjagd gefordert war, um Leben ins Jenseits zu schicken, das dann über Erneuerungsrituale segensbringend der eigenen Gemeinschaft zugute kam. Die Schachtel zeigt den Kopf eines hochrangigen Ahnen (erkennbar am Adlerfeder-Schmuck) und zwei Vogelgestalten, die sich als Götterboten zwischen den Webebenen bewegen können und die Verbindung zwischen Aristokratie und Ahnen-Sphäre aufrecht erhalten.

Schamanismus ist ein wesentlicher Teil der Paiwan-Kultur. Schamanismus wird professionell ausgeübt und über Generationen auf der weiblichen Linie vererbt. Die Schamanen der Paiwan waren in aller Regel Frauen, manchmal auch Hermaphroditen. Da die Zahl der Schamanen stetig abnimmt, werden in neuerer Zeit die Gründung und der Unterhalt von Schamanen-Schulen gefördert, um die traditionellen Praktiken zu erhalten und zu pflegen. Die Rituale beinhalten Tänze, die dem japanischen buto entsprechen. Die Schaman(innen) sind Heiler, Medien, die die Stimmen der Ahnen aus sich sprechen lassen, und Seelsorger. Die traditionelle Paiwan-Gesellschaft war von einem Kastensystem geprägt, in dem die Häuptlinge und ihre Familien an der Spitze der Gemeinschaften standen. Darauf folgte die Kaste der Schamanen, Adeligen und Krieger, während die übrigen Stammesangehörigen mehr oder weniger der untersten Kaste des einfachen Volks angehörten. Das Wechseln von einer Kaste in eine andere war durch Eheschließungen teilweise möglich. In manchen Clans bestand allerdings das Verbot, Personen außerhalb des eigenen Clans zu heiraten. Die Bekleidung einer Person, das Material und die Verzierungen von Besitztümern richteten sich traditionellerweise nach der Kastenzugehörigkeit. Adlerfedern als Kopfschmuck wurden nur vom Hochadel getragen. Die Darstellung der Schlange Mura, die sich insbesondere auch auf den Schwertern findet, durfte gleichfalls nur von Adeligen getragen werden.

https://edoc.ub.uni-muenchen.de/7335/1/Yamada_Hitoshi.pdf

Ritualdose „kanepochi“

Objekt Amulett-Box „kanepochi“
Kultur Formosa/Süd-, Paiwan-Gruppen
Zeit 19. Jahrhundert
Maße L: 7,20 cm, H: 2,80 cm, B: 4,00 cm
Material Holz, Lack

Diese Amulettbox stellt ein Vergleichsbeispiel dar. Sie ist aus Holz geschnitzt, besitzt einen Schiebedeckel und ist mit rotem Lack überzogen. Die beiden gegenüberliegenden Köpfe sind differenziert in der Ausarbeitung. Es ist sowohl ein lebendes als auch ein totes Gesicht dargestellt. Die kleine Dose weist eine schöne Haptik auf, was auf eine lange Benutzung hindeutet. Auch sie diente der Aufbewahrung von Talismanen, Perlen oder heiligen Steinchen.

Paiwan Häuptlinge in besonderer Tracht mit Leopardenfellweste und bestickter Weste (Kopfdarstellung), die Symbole des Paiwan-Adels darstellen.

http://hdl.handle.net/10385/cc08hg88v