Schamanen-Dolch
Der große, als menschliche Figur geformte Griff dieses Dolches ist aus Bronze, die Klinge aus Eisen bzw. Stahl. Auf dem Kopf sind fünf kleine menschliche Häupter erkennbar, die möglicherweise Nachkommenschaft und Fruchtbarkeit andeuten, aber eventuell auch im Kontext mit der Kopfjagd zu verstehen sind (was sinngemäß zusammenhängt). Nach der traditionellen Auffassung sind Bronzemesser, Azur-Steinperlen (oder Amulettsteine) und eine besondere Art von Keramikgefäßen die „Drei Schätze“ des Paiwan-Stammes. Früher waren sie ausschließlich im Besitz hochrangiger Adeliger und Stammesführer (bzw. Führerinnen; die Paiwan sind matriarchalisch organisiert) und waren von den Vorfahren vererbt worden. Normalerweise wurden sie von gewöhnlichen Leuten nie berührt. Sie wurden nur bei den großen, alle fünf Jahre stattfindenden Hauptfestivals (maleveq) aus den Ahnenschreinen hervorgeholt und wurden den Ahnen, die bei diesem Anlass aus der ätherischen Sphäre temporär in der Welt der Lebenden zu Gast waren, präsentiert. Bei dieser Dreiheit Messer/Schwert, Perle und Gefäß denkt man unweigerlich an die Dayak auf Borneo, bei denen eine besondere Art von symmetrischem Dolchschwert (dohong), alte Perlen und die heiligen Gefäße jawet eine ähnlich tiefschürfende Bedeutung haben. Auch die Staatsschätze von Japan, Schwert, Spiegel und Juwelen, sind artverwandt; das Gefäß und der Spiegel sind in ihrer Bedeutung als Tor ins Jenseits und Medium für Prophezeiungen teilweise gleichbedeutend. Es dürfte sich hier also um eine sehr alte austronesische Tradition handeln, die ihre Ursprünge noch in der Bronzezeit hat.
Die Paiwan selbst können nichts Gesichertes über die Herkunft der Dolche äußern; sie wissen lediglich, dass sie heilig sind und von den Vorfahren an die späteren Generationen weitergereicht wurden. Taiwan verfügt über keine Zinnvorkommen und keine Gelbguss-Traditionen; es kann daher als sicher gelten, dass diese Objekte nicht originär taiwanesisch sind. Einige Annahmen tendieren in die Richtung, dass Bronzedolche dieser Art ihren Ursprung in der Dong-S’on-Kultur in Dongshan/Vietnam haben, aus der man Dolche mit anthropomorphen Griffen kennt. Dong-S’on-Dolche sind allerdings vollständig aus Bronze und haben noch einen etwas anderen Habitus. Wahrscheinlicher sind lokale Derivate von Han-Waffen als Ursprung der Taiwan-Bronzedolche zu sehen.
Die Bronzedolche unterscheiden sich essenziell von den bei den Paiwan üblichen Kampf- und Schwertmessern takit oder rinarug (auf Luzon kennt man den binalong/hinalong und weiter im Süden der Philippinen den binangon, was offenbar artverwandte Begriffe für alte Klingenwaffen-Formen sind). Sie hatten keine praktische Funktion, sondern verkörperten Status und Legitimation. Zwei der schönsten bekannten Exemplare für diesen sehr seltenen Dolchtyp werden im Shunye Museum of Aboriginal Art in Taipei und im Sankokan Museum der Tenri University in Japan aufbewahrt. Das Alter ist völlig ungewiss; es kann sehr hoch sein und bis in das erste Jahrtausend u.Z. zurückreichen.
Objekt | Schamanen-Dolch |
Kultur | Formosa/Süd-, Paiwan-Gruppen |
Zeit | 10.–18. Jahrhundert (?) |
Maße | Länge: 37 cm |
Material | Gelbguss, Stahl |